Züri West / Industriequartier

Industriequartier ohne Arbeiter*innen

Zürich West war schon vieles: Industriegebiet, dann Brache, dann Zwischennutzung, Freifäche, Experimentierraum, „West End“. Heute ist es ein zu Tode entwickeltes, langweiliges, steriles, teures Gebiet mit viel Bürofäche und überteuerten Wohnungen. Diese Entwicklung verlief enorm schnell. Die Arbeiter*innenkultur ging verloren. Das Potential für das Quartier wurde verschenkt.

Im 19. Jahrhundert siedelte Industrie an der Limmat und den Gleisen an, Arbeiter*innensiedlungen wurden in der Nähe gebaut. Nach etwa 100 Jahren Industriebetrieb verschwanden mit der Deindustrialisierung in den späten 1970er Jahren viele Arbeitsplätze aus der Stadt. Die brach liegenden Areale wurden in den 80ern durch informelle Nutzungen zu neuem Leben erweckt. Im Steinfels Areal gab es den „Glace-Garten“, das Schoeller-Areal war Experimentierraum, in der Toni-Molkerei entstanden Clubs, kleine Läden und Handwerker*innen siedelten an. In den 90ern entschied die Stadt, das Gebiet zu „entwickeln“. Eine erhöhte Ausnützung wurde möglich, die Bodenpreise vervielfachten sich. Günstig verkauftes Industrieland wurde zur teuren Wohnzone. Vereine wie „Kulturmeile Zürich West“ stiessen Projekte an, welche den Ort aufwerten sollten. Die grössten Immo-Firmen wie Mobimo, Allreal und SPS überbauten einen Grossteil des Gebietes neu, liessen abreissen, und schöpften hohe Renditen ab. Wie immer gaben sie dafür absolut nichts zurück, weder fnanziell, noch qualitativ. Im Gegenteil, die Stadt zahlte ihnen noch die Infrastruktur. Mit teuren Eigentums-Wohnungen wie im Mobimo-Tower und teuren Mietwohnungen wie die Escher-Terrassen (Miete Attika-Wohnung 12'735.-/Monat) wurde ein Klientel angezogen, das es an dem Ort so zuvor noch gar nicht gab. Die teuren Wohnungen konnten nicht alle verkauft und vermietet werden und stehen teilweise leer, andere dienen als Zweitwohnsitz (steuerfrei), viel Bürofäche steht leer, das Gebiet ist nicht mehr beliebt bei Ausgehenden. Das Quartier, besser das „Entwicklungsgebiet“, wurde tot.

Der Versuch, mit der ZHdK auf dem Toni-Areal das „Kreative“ im Quartier zu betonen und es zu beleben, scheiterte. Entstanden ist ein introvertierter Kunst-Palast.

Im Viadukt hausten früher die „Bananen-Zentrale“, Steinhauer*innen und Automechaniker*innen in einfachen Einbauten in den Bögen, heute können in hochwertigen Einbauten Velos für 2'000.- und Jacken für 1'000.- eingekauft werden. So gleichförmig, teuer und durch-gestylt wie die Bögen gibt sich das ganze Quartier. Vieles was die Brachen zu beleben begann wurde mittlerweile vertrieben. Und damit auch die Bewohner*innen, welche diese Strukturen nutzten. Die neue Bewohnerschaft, die sich das leisten kann, hat nichts mit Stadt zu tun, und ganz sicher nichts mehr mit den Arbeiter*innen, deren Quartier dies früher war.

Zürich West liegt in vielen Punkten über dem Stadt Zürcher Durchschnitt: Anteil Eigentumswohnungen (58% / 7%), Wohnfächenverbrauch pro Person (80m2 / 40m2), Einkommen pro Person (entspricht dem am Zürichberg), durchschnittlicher Mietzins (2'370.- / 1'590.-). Es zeigt aber das Vorgehen in ganz Zürich auf: Freie Flächen werden schnellstmöglich mit Renditeobjekten zugebaut, Freiräume durchgeplant und überdesignt. Dem Markt wird freien Lauf gelassen, Menschen und ihre Strukturen sind dem ausgeliefert und müssen weichen.

Überlassen wir die Entwicklung unserer Stadt nicht dem Markt! Holen wir uns Freiräume, die von allen genutzt werden können!



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