Sihlquai bleibt - die Häuser denen, die drin leben!

Im November 2020, mitten in der Coronapandemie, kündigt Coop den langjährigen Mieter*innen der Häuser Sihlquai 280 und 282 im Zürcher Kreis 5 die Wohnungen. Geplant sind Totalsanierung und  komplette Umnutzung zu Büros und Labors für die zur Coop-Gruppe gehörende Swissmill. 25 Menschen müssen ihr Zuhause verlassen, darunter Familien mit Kindern und Menschen im Rentenalter, die teils 30 Jahre dort gelebt haben. Auch eine kleine  Quartierschreinerei ist betroffen. Als Alternative macht Coop einzelnen Bewohner*innen ein Angebot im Letzipark Altstetten zu einem mehrfach höheren Mietpreis, den die Betroffenen gar nicht finanzieren können! Inzwischen steht der Grossteil der  Wohnungen leer.

Die (Ex-)Mieter*innen organisieren sich und lancieren die Kampagne Forever Sihlquai. Sie werden in den sozialen Medien aktiv, drucken Plakate, holen sich juristische Unterstützung und sammeln in einer Petition gegen die Kündigung fast 10'000  Unterschriften. Ende April 2021 übergeben sie diese dem Geschäftsführer von Swissmill. Doch die  Forderungen der (Ex)Mieter*innen stossen sowohl bei Coop als auch beim Stadtrat auf taube Ohren.

Anfang Mai involviert Coop hinter dem Rücken der Mieter*innen die Zwischennutzungsfirma Intermezzo Houses AG, welche einzelne Zimmer in den bereits leerstehenden Wohnungen für bis zu 60% mehr als des ursprünglichen Mietpreises ausschreibt. Sowohl für die vertriebenen als auch für die verbliebenen Bewohner*innen ist dies ein Schlag ins Gesicht: Die Räume, in denen sie ein halbes Leben verbracht  haben und für die sie gekämpft haben, werden nun zu Wucherpreisen zur Zwischennutzung angeboten.

Am 9. Mai 2021 werden die Häuser besetzt. Zu Musik, Reden und Feuerwerk wird während einer Kundgebung mit mehreren hundert Menschen der Wohnraum zurückgeholt. Bunte Transparente mit kämpferischen Parolen hängen an der Fassade. Doch schon am nächsten Morgen räumt ein riesiges Polizeiaufgebot die Liegenschaften. Passant*innen werden kontrolliert und weggewiesen. Eine  Sicherheitsfirma wird mit der Bewachung der  Gebäude beauftragt.

Das Beispiel Sihlquai zeigt, dass für einen attraktiven Wirtschaftsstandort preiswerter Wohnraum vernichtet wird und Mieter*innen vertrieben werden. Soziale Netze und nachbarschaftliche Zusammenhänge zerreissen. Kinder, Jugendliche, Arbeiter*innenfamilien, migrantisierte und ältere Menschen werden in Aussenquartiere, in unsichere Mietverhältnisse oder ganz aus der Stadt gedrängt.

Für die Besitzenden, wie in diesem Fall das international agierende Grosshandelsunternehmen Coop, lassen sich aus Boden und Immobilien maximale Profite schlagen. Das ehemalige Arbeiter*innenquartier Kreis 5 wurde in den letzten
30 Jahren massiv aufgewertet. Industriebetriebe wurden in die Agglomeration verlegt, ehemalige Industrieareale mit teuren Wohnüberbauungen überzogen und hunderte Häuser luxussaniert.

Zwischennutzungen hebeln das Mietrecht aus, prekarisieren das Wohnen und sollen Besetzungen verhindern. Menschen, die dringend auf günstigen Raum angewiesen sind, finden häufig nur noch befristete Angebote. Spezialisierte Unternehmen,
wie beispielsweise die Intermezzo Housing AG, arbeiten Hand in Hand mit Immobilienunternehmen und streichen Millionen ein.

Die Stadt Zürich unterstützt und fördert die neoliberale kapitalistische Stadtentwicklung. Den Mieter*innen des Sihlquais zeigt der Stadtrat die kalte
Schulter; zur Unterstützung der Coop-Gruppe schickt die Stadt Robocops mit Räumungsbefehl und  Schlagstöcken.



Aufwertung in Altstetten – Rede an der Kundgebung auf dem Lindenplatz «Wem gehört Altstetten?» 22.8.2020


Wir stehen hier auf dem Lindenplatz, mitten in Altstetten, dem grössten Quartier der Stadt Zürich. Hier leben rund 30'000 Personen, und ein grosser Teil der Menschen hier sind Arbeiter*innen und Angestellte mit einem Einkommen unterhalb des Zürcherischen Durchschnitts und ohne Vermögen. Hier wohnen viele Familien, viele alleinerziehende Frauen*, viele migrantische Menschen, viele Kinder und Jugendliche und viele ältere Personen.

Gemäss dem kommunalen Richtplan des Hochbaudepartements der Stadt Zürich für das Jahr 2040 gilt Altstetten als eines der Gebiete in Zürich, welches sich besonders gut «für eine qualitätsvolle bauliche Verdichtung» eignen würde. Altstetten habe gemäss dem Richtplan «ein grosses Erneuerungspotenzial in der Bausubstanz» sowie verschiedene «Plätze mit dem Potential sich in identitätsstiftende Quartierzentren verwandeln zu lassen mit vielen attraktiven Ladenpassagen und Konsummöglichkeiten».

Nun, was heisst das konkret? Konkret heisst das: Aufwertung, Verdrängung, Ausgrenzung und Repression.

Konkret heisst das, dass billige Wohnungen verschwinden und teure Wohnungen gebaut werden. Bereits jetzt sind alle ehemaligen grossen Industrieareale in Altstetten an global agierende Banken und Konzerne wie die UBS, die CS oder die Mobimo verkauft und verschiedene teure Überbauungen wie der Westlink Tower oder die Labitzke-Siedlung erstellt worden. Als Beispiel kostet eine 4,5 Zimmer Wohnung im Westlink-Tower ohne Nebenkosten 4000 Franken, zusätzlich muss eine Mietkaution von über 11’000 Franken hinterlegt werden. Solche Wohnungen können sich die meisten Menschen, die jetzt in Altstetten leben, nicht leisten und müssen deshalb woanders hinziehen. Häufig finden sie nur noch eine Wohnung mit einem befristeten Mietvertrag oder eine ausserhalb der Stadt. So verlieren sie neben ihrer Wohnung auch
ihre sozialen Netze und nachbarschaftlichen Zusammenhänge, die Arbeitswege werden länger, sie haben weniger Freizeit und die Lebensqualität nimmt ab.

Die geplante Aufwertung nimmt den Menschen, die jetzt hier leben, ihre Lebensräume weg und verteilt sie um an reichere Bewohner*innen. Diese haben das Geld und die Zeit, um sich den Konsum in den
zukünftigen Ladenpassagen und hippen Cafés und Restaurants zu leisten. Die im Richtplan der Stadt Zürich geplanten «identitätsstiftenden Quartierzentren» werden eine bürgerliche Identität haben. Sie werden normiert, diszipliniert und Video überwacht daherkommen. Und wer sich nicht anpasst und konsumiert, hat dort nichts verloren.

Aber bis 2040 kann noch viel passieren. Und wie viel in kurzer Zeit passieren kann, haben wir gerade in den letzten Monaten miterlebt. Heute stehen wir hier und wehren uns gegen Aufwertung und Verdrängung in Altstetten. Denn wir haben eine andere Vision von Stadt. Wir wollen eine Stadt, die nicht der
kapitalistischen Logik von Profit, Konsum und Vereinzelung folgt, sondern eine Stadt von und für die Leute, die hier leben und arbeiten.

Deshalb schliessen wir uns zusammen und wehren wir uns gegen Kündigungen und teure Grossüberbauungen. Wehren wir uns gegen normierte, kontrollierte und konsumorientierte Quartiere.

Erkämpfen wir uns selbstorganisierte gemeinschaftliche Räume wie beispielsweise die Besetzung an der Grimselstrasse und verteidigen wir diese Räume gegen Aufwertung, Verdrängung und Repression.

Vernetzen wir unsere Kämpfe mit anderen Menschen und mit anderen Initiativen und Kämpfen und
werden wir mehr und mehr.

Wir wollen die Häuser, die Stadt, den Boden. Für alle.

Oisi Stadt, oisi Quartier!



2017 — Frogtown, Los Angeles